Eric Zeisl (in den Anfängen häufig: Erich Zeisel) war der Sproß einer jüdischen Wiener Kaffeehaus-Dynastie: Großvater und Vater betrieben ein - von Joseph Roth mehrmals journalistisch beschriebenes - Café Tegetthof nahe dem Wiener Praterstern. Erich schrieb sich gegen den Willen seiner Familie als Student am Konservatorium ein und absolvierte den grundlegenden Musiktheorie-Kurs von Richard Stöhr. Komposition studierte er danach unter anderem bei Joseph Marx.
Der Liedkomponist
1921 erschienen erste Lieder im Druck. Die großen Wiener Verlagshäuser Universal Edition und Dobliner publizierten in der Folge seine Werke - vor allem Liedkompositionen, von denen bis zur Emigration des Komponisten Hunderte entstanden, aber auch größer angelegte Werke wie das Requiem concertante, das mit dem österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde und das Singspiel Leonce und Lena nach Büchner, dessen Uraufführung in Prag 1938 zwar vorbereitet wurde, aber nicht mehr stattfinden konnte.
Eine abenteuerliche Flucht brachte Zeisl, seinen Bruder Willi und seine Frau in die USA, wo der Komponist seine schon in Europa begonnene Opernversion von Joseph Roths Hiob (»Job«) zu vollenden versuchte, sich aber vor allem durch das Schreiben von Filmmusik über Wasser halten mußte. Zeisl unterrichtete an der »Southern California Music School« und am »City College Los Angeles«.
Die Orientierung an einer von der Spätromantik herkommenden tonalen Schreibweise ließ Zeisls Werke für die europäischen Kommentatoren nach 1945 als vollkommen unmodern erscheinen. Tatsächlich geht die Harmonik von Zeisls Liedern meist nicht über jene seines großen Vorbilds Hugo Wolf hinaus.
Filmmusik in den USA
Erich Zeisl war eines jener eminenten musikalischen Talente Wiens, die 1938 fliehen mußten. Daß ihm die Flucht gelang, ermöglichte ihm, in den USA ein Leben als Filmkomponist zu beginnen, das ihn schon 1942 mit einer zeitgeschichtlichen Arbeit konfrontierte: Zeisl komponierte den Soundtrack zu einer Verfilmung der Geschichte des Attentats auf den Führer des »Reichsprotektorats Böhmen und Mähren«, Reinhard Heydrich, die der emigrierte deutsche Filmregisseur Douglas Sirk unter dem Titel Hitler's Madman herausbrachte.
Insgesamt schrieb Zeisel die Musik zu 20 Streifen, von denen The Postman Always Rings Twice (1946) der populärste wurde.
Nicht immer kam Zeisl in der Filmindustrie zum Zug, auch dann nicht, wenn ihn berühmte Kollegen empfohlen hatten: So scheiterte beispielsweise ein Projekt, für das Erich W. Korngold seinen Freund Zeisl aus Wiener Tagen vorgeschlagen hatte. Und im Falle der Remarque-Verfilmung A Time to Love and a Time to Die, für die schon ein gültiger Vertrag bestanden hatte, wurde Zeisl 1958 ausbezahlt; man wählte letztendlich lieber doch den mehrfachen Oscar-Preisträger Miklós Rózsa.
Erst in den späten Vierzigerjahren schrieb Zeisl wieder regelmäßig Musik für den Konzertsaal oder für den liturgischen Gebrauch. Am Beginn steht der Auftrag, Musik für die Synagoge zu schreiben. Zeisl nutzte die Gelegenheit zur Komposition eines Requiems nach dem Text des »92. Psalms« nutzte: Schon Anfang der Vierzigerjahre hatte er erfahren müssen, daß einige Familienmitglieder in die NS-Vernichtungslager deportier worden waren, unter anderem wurden Zeisls Vater und seine Stiefmutter Opfer der »Shoah«.
Was heißt »modern«?
Zeisl gehörte in den Dreißigerjahren zu den angesehenen Vertretern der gemäßigten Wiener Moderne. Er hat sein Leben lang der Tonalität nicht adieu gesagt, was der Verbreitung seiner Musik in Europa - nachdem sie von 1933 (1938) bis 1945 in seiner Heimat verboten war - nach dem Zweiten Weltkrieg nicht förderlich war. Wie alle anderen Vertreter eines avantgarde-fernen, traditionsverbundenen musikalischen Stils, fiel Zeisls Werk nach der »rassischen« Verfolgung dem ästhetischen Verdikt der Adorno-Schule zum Opfer.
Erst ein halbes Jahrhundert nach Zeisl Tod setzt eine langsame Wiederbesinnung auf sein Schaffen ein, die in der Publikation einer Biographie (Karin Wagner, Wien 2005) und einer Auswahl aus dem Briefwechsel (2008) gipfelte.
Die Musikkritiken, die Zeisl über Jahrzehnte hin publizierte, und die - wie sämtliche Musikmanuskripte - in seinem Nachlaß in der Universitätsbibltiothek von Kalifornien gesammelt sind, können einer zukunftigen Forschung als Primärquelle für eine Aufarbeitung der jüngeren Musikgeschichte - jenseits der »kanonisierten« Avantgarde dienen.
Amerikanische Dimensionen
Wobei sich der »Stil« dieses Komponisten über die Jahrzehnte hin durchaus verändert hat. Was die Bindung an die Tonalität betrifft, blieb Eric Zeisl dem Wiener Erich Zeisl treu. Doch wurde seine Tonsprache herber, versuchte Zeisl doch, jüdische Folklore in seiner Musik anklingen zu lassen - nicht zitathaft, aber wie ferne Erinnerungen an melodische und harmonische Eigenheiten. Seine Biographin Karin Wagner nannte das Zeisls »synagogalen Stil«.
Die ästhetisch aparte Mixtur wird deutlich in Werken wie dem Zweiten Streichquartett oder den drei Sonaten für Streichinstrumente und Klavier, die zwischen 1948 und 1951 entstanden, eine für Violine, eine für Bratsche und schließelich eine für Violoncello.
Die Violinsonate, nach dem idyllischen Künstler-Camp Brandeis benannt, wo Zeisl unterrichtete und wo auch die Sonate entstand.
Die so gar nicht europäischen Dimensionen des amerikanischen Lebens beschrieb Zeisl in einem für die Publikation in Österreich verfaßten Text über das Unterrichten anschaulich:
Es sind ganz eigene Verhältnisse, vor Hunderten üer Dinge sprechen zu müssen, die man am liebsten im kleinen Kreis mitteilen möchte. Es ist eigenartig, wenn man durchs mikrophon über Lautsprecher zu Hörern spricht, zu denen man persönlich kine Beziehung haben kann.
Der »jüdische Komponist«
Die Brandeis-Sonate ist dem Komponisten-Kollegen Alexandre Tansman gewidmet, der es - anders als Zeisl - vorzog, nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder nach Europa zu gehen und gücklich aus Paris berichtete, wie froh er sei, dem Filmmusik-Terror Hollywoods entgangen zu sein und seine Kunst nicht weiter »prostituieren« zu müssen.
Aus Eric Zeisl war aus denselben Überlegungen mittlerweile ein »Jewish Composer« geworden, der keine Anleihen beim wienerischen Fin-de-siècle-Stil mehr machte - und auch mit einer einzigen Ausnahme keine Klavierlieder mehr komponierte und damit jene Gattung hinter sich ließ, der er in Wien seine größten Erfolge verdankt hatte.
Die Sehnsucht nach der Alten Welt hat Zeisl freilich nie losgelassen, wie vor allem sein Briefwechsel mit der in London beheimateten, ebenfalls aus Wien exilierten Literatin Hilde Spiel beweist, den der Komponist bis an sein Lebensende aufrecht erhalten hat. Er beneide Hilde Spiel, schreib Zeisel einmal, daß sie
jenem Ort so nahe leben darf, den wir einst geliebt haben...
Hilde Spiel nennt Zeisl wiederum in einem ihrer Essays einen
Österreicher, der es bis zum letzten Atemzug blieb.
Aufnahmen
Wolfgang Holzmair und Cord Garben brachten 2005 die erste CD mit Zeisl-Liedern (bei cpo) heraus, denen eine Lied-Ausgabe bei Doblinger folgte, die Adrian Eröd herausgab.
Das Requiem Ebraico hat Lawrence Foster in Zusammenarbeit mit Deutschland Radio zusammen mit Franu Waxmans Lied von Theresienstadt in der Decca-Serie »Entartete Musik« herausgebracht.
Eine CD mit Kammermusik Erich Zeisls erschien bereits 1991 bei harmonia mundi. Sie spannt den Bogen vom frühen Klaviertrio op. 8 aus der Feder des Wiener Teenagers zum Zweiten Streichquartett und einem Trio aus den letzten Jahren der Emigration, kann für die erste Beschäftigung mit Zeisls Musik also Auskunft über die früheste und die späteste der Schaffensphasen geben.
Der Wiener Geiger Johannes Fleischmann hat die Violinsonaten von Zeisl und Korngold einander gegenübergestellt und erzielte damit für sein CD-Projekt Exodus - The Men who shaped Hollywood eine bemerkenswerte Spannung zwischen Korngolds wienerisch funkelndem Fin-de-siècle-Ton und dem herben, zwischen Klezmer und Klassizismus vermittelnden Klangsprache des späten Zeisl. Wobei Fleischmann zu erzählen wußte, daß sich in den Konzerten, die im Gefolge dieses Projekts stattfanden erwies: die Zeisl-Sonate sei letztendlich das zugänglichere, applaustreibendere Stück...